Nachhaltiges Kiel

IST GEMEINSCHAFTLICHES LEBEN HEUTE NOCH REALISIERBAR?

In vielen Bereichen der Stadt stößt man auf nachhaltige Projekte und gerade als möglichst nachhaltig lebende Kielerin freut einen das sehr. Auf den Wochenmärkten finden sich überproportional viele Bio-Stände, die Fahrräder der Sprottenflotte finden sich an vielen Knotenpunkten und auch das Carsharing wird besonders im innerstädtischen Bereich viel genutzt. Besonders die E-Autos darunter sind beliebt. Die Kieler Verkehrsbetriebe setzen inzwischen auch vermehrt elektrische Busse ein und gefühlt kommt jede Woche eine neue Fahrradstraße dazu, die das Radeln in Kiel wirklich komfortabel macht.

Nun sehe ich als Mitarbeiterin bei TING natürlich auch das Bauen und Wohnen mit einem anderen Blick. Was gerade im innerstädtischen Bereich fehlt, sind gemeinschaftliche Wohnprojekte. Zwar haben die großen Bestandgenossenschaften im innerstädtischen Bereich viele neue Quartiere gebildet – z.B. das Quartier im Anscharpark oder den Wohnpark am Blücherplatz – private Wohngenossenschaften jedoch sind bis jetzt nur in den suburbanen Vierteln Kiels vertreten. Es sollte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis sich dieser Umstand ändert. Während der Pandemie hat ein Umdenken hinsichtlich des Lebens und Wohnens eingesetzt. Die Gemeinschaft und gute Nachbarschaft steht wieder mehr im Vordergrund.

 

Klassisches Wohnen vs. Gemeinschaftliches Wohnen

 Gerade in den hippen Vierteln der Stadt leben einkommensstarke Eigentümer und Mieter eher individualisiert – besonders ersichtlich an der Gentrifizierung ehemaliger Arbeiterviertel. (siehe Joscha Metzger: Gemeinschaftliches Wohnen: Ansatz zur Lösung der Wohnungsfrage? Nachrichten der ARL 01/2016 S. 18)

In diesen Vierteln wird saniert und neu gebaut, Läden eröffnen und die Mieten sowie Kosten für Eigentum steigen ins Unermessliche. Die Gedanken gehen bei solchen Aussagen natürlich erst einmal nach Berlin, Frankfurt oder Hamburg. Aber auch in Kiel hat dies bereits vor langem eingesetzt. Rund um den Blücherplatz, die Holtenauer Straße bis in die Wik und auch die wassernahen Viertel Holtenau und Friedrichsort wird das Wohnen immer teurer. Hier ist eine deutliche Zunahme an einkommensstarken Haushalten zu erkennen. (Vgl. hierzu Wotha und Dembowski: Folgen von Reurbanisierung – Steuerungserfordernisse und planerische Konsequenzen in Politik und Verwaltung in einer mittleren Großstadt am Beispiel von Kiel, 2019.)

Daher steht die Frage im Raum, ob das klassische Wohnen in den Städten durch gemeinschaftliches Wohnen an Wert verliert oder gar gewinnt. Eine Gemeinschaft kann viel auffangen. Die klassischen Städter heutzutage sind oft Singles oder auch Patchworkfamilien. Sie wohnen individualisiert und pflegen selten engen Kontakt zur Nachbarschaft. Hier besteht nun häufig der Wunsch nach den eigenen vier Wänden; aber dennoch nach einer gut funktionierenden Gemeinschaft bzw. Nachbarschaft, die nicht nur bei Engpässen einspringen kann, sondern auch die Lebensqualität enorm aufwertet. Wie schön ist es, nach einem anstrengenden Tag noch einmal einen netten Austausch im Treppenhaus zu haben oder sogar spontan das Abendessen mit den Nachbarn einzunehmen? Nach der pandemischen Lage über zwei Jahre lang, haben wohl auch die meisten unter uns gelernt, wie wichtig soziale Kontakte sind. Wer den ganzen Tag aufgrund von Homeoffice, Kontaktbeschränkungen oder ähnlichem in seinen eigenen vier Wänden verbringt, stellt fest, dass die eine gute Gemeinschaft bzw. Nachbarschaft fehlt. Sei es durch die Hilfe beim Einkauf, das Sitten der Kinder oder auch einfach nur einem kleinen Plausch vom Balkon über das allgemeine Befinden. Doch auch wenn gemeinschaftliche Wohnprojekte an Trend zunehmen, wo kommt der Platz dafür her? In den Innenstädten gibt es kaum brachliegende Bauflächen oder freie Altbauten zu erschwinglichen Preisen. Die Bauträger übertreffen sich mit den Preisen und alles was daraus entsteht, ist teures Eigentum. Hier müssen die Kommunen selbst einlenken – ein Umdenken ist unausweichlich.

 

Leben in der Stadt nur noch für Gutverdienende?

Wenn wir kein anonymes Leben in den Städten mehr wollen, muss gehandelt werden. Bereits 2016 wurde dies beschrieben, heute sieht es nicht besser, sondern eher schlechter aus. „Infolge der Intensivierung von Gentrifizierungsprozessen seit den 1990er Jahren hat jedoch der Verwertungsdruck auf die bestehenden Häuser so stark zugenommen, dass Wohnprojekte heutzutage (fast) nur noch als Neubau zu realisieren sind. Neu zu bauen, bedeutet aber einen erhöhten Aufwand an Baukosten und führt, in Kombination mit einem hohen Grundstückspreis, am Ende zu hohen Mieten bzw. Nutzungskosten.“ (siehe Joscha Metzger: Gemeinschaftliches Wohnen: Ansatz zur Lösung der Wohnungsfrage? Nachrichten der ARL 01/2016 S. 19)

Mit dem Wegfall der KfW- Mittel seit Anfang diesen Jahres, hat sich in der Finanzierung einer privaten Wohngenossenschaft ein großes Loch aufgetan, welches kaum zu füllen ist, will man die Einlagen der Mitglieder möglichst niedrig halten. Die erhöhten Baukosten tragen ihrerseits ebenfalls dazu bei, dass es kaum noch möglich sein wird in städtischen Gebieten gemeinschaftliches Wohnen für die Normalverdienenden zu realisieren. Wollen wir wirklich, dass sich in den Städten „nur noch“ die Gutverdienenden das Leben leisten können und alle weniger verdienenden Bürger*innen an den Rand – in die suburbanen Vorstädte gedrängt werden? Investoren kaufen sanierungsbedürftige Gebäude in den Innenstädten, sanieren und modernisieren diese und vermieten sie dann zu horrenden Mietpreisen. Wo bleibt da noch der Gemeinschaftssinn, die gewachsene Nachbarschaft oder ein positives Lebensgefühl? Für viele unter uns geht das alles dadurch verloren. Sollte so weitergedacht und gebaut werden, wird das anonymisierte Leben in der Stadt gefördert. Hier gewinnt der holistische Ansatz der Projektentwicklung an Bedeutung:

Denn wird ein Gebäude aus der Umgebung heraus entwickelt – also unter Einbezug von ökologischen, soziokulturellen und ökonomischen Gesichtspunkten – dann kann der Gentrifizierung und Kommerzialisierung entgegengewirkt werden. Wir von TING Projekte haben dieses Umdenken bereits in die Tat umgesetzt. Wir arbeiten mit dem holistischen Ansatz. Nun hoffe ich sehr, dass dieser Ansatz auch bei anderen Beachtung findet und Kiel eine lebenswerte Stadt bleibt, und zwar mit Stadtteilen, die für jeden erschwinglich sind.

Neue Standorte, Geschäftsführung TING, Grundstücksankauf

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